Das Kulturdenkmal Oberharzer Wasserregal

Im Umfeld der Oberharzer Bergstädte entstand zwischen 1536 und 1866 ein großes flächenhaftes Wasserwirtschaftssystem, das in seiner Art europaweit einzigartig ist. Seit 1978 stehen sämtliche aktiven und passiven Teile dieser Anlage unter Denkmalschutz.

Niederer Harzer Hubsatz

Gemäß dem alten Grundsatz "Wasser müssen mit Wasser gehoben werden", diente die Wasserkraft im Montanwesen zum Antrieb von Kunsträdern (für Pumpen, sog. niedere Harzer Hubsätze, seit 1833 auch von Fahrkünsten zum Ein- und Ausfahren der Bergleute) und Kehrrädern ("Wassergöpel" zur Schachtförderung, sog. Treibwerke) außerdem in der Aufbereitung zum Zerkleinern und Trennen der Erze (Pochwerke, Erzwäschen) und schließlich auch auf den Schmelzhütten zum Antrieb der Ofen-gebläse.

Gesamtumfang der Anlage:

  • etwa 120 Stauteiche
  • mehr als 500 km Kunstgräben
  • 18 km "Gefluder" (offene hölzerne Wasserleitungen)
  • 30 km Wasserläufe und Röschen (untertägige Wasserleitungen)

Von den Harzwasserwerken werden davon derzeit "aktiv" unterhalten:

  • 65 Teiche
  • 69,7 km Gräben
  • 19,8 km Wasserläufe

 

Einige alte wasserbauliche Maßeinheiten

Die Längen von Gräben wurden entweder im üblichen Lachtermaß (1 hannoverscher Ltr. = 1,92 m) oder aber in Ruthen (1 Ruthe = 4,67 m) angegeben.

Als Maß für die Durchflusskapazität eines Grabens gebrauchte man früher die Einheit "1 Rad Wasser", d.h. die Wassermenge, die zum Betrieb eines mittelgroßen Kehr- oder Kunstrades notwendig war (Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 5 - 5,8 m³/min, entsprechend 80 - 90 l/s). Der Dammgraben bei Clausthal hatte eine Durchflusskapazität von etwa 10 Rad Wasser, der Neue Rehberger Graben bei St. Andreasberg fasste etwa 5 Rad.

Einige Beispiele vom Umfang der bergbaulichen Wasserkraftnutzung

Um 1860 waren im Oberharz 193 Wasserräder und drei Wassersäulenmaschinen mit einer Gesamtleistung von 1.368 kW im Einsatz. 1922 waren es noch 11 Wasserräder, eine Wassersäulenmaschine und 28 Turbinen mit einer Gesamtleistung von 3.090 kW.

Wichtige bauliche Elemente der historischen Wasserwirtschaftsanlagen:

  • Die aus Steinen und Erdreich aufgeschütteten Teichdämme sind mit einem Rasenhaupt (festgestampfte Grassoden) gedichtet
  • Der Abfluss wurde mittels einer Striegelvorrichtung reguliert, manche Teiche hatten zwei Striegel ("oberer und unterer Fall") wodurch zwei Lamellen des Teichspiegels getrennt entnehmbar waren.
  • Eine Widerwaage ist ein Ausgleichsbecken am Dammfuß, Einlauf des Aufschlaggrabens
  • Um- und Ausfluten an Teichen dienen dazu, Hochwasser gezielt abzuleiten und Dammbrüche zu verhindern.
  • Sammel-, Flut- und Aufschlaggräben dienen zum Sammeln, überleiten und Verteilen der Betriebswasser
  • Gefluder und Hohlgerennesind hölzerne Wasserrinnen, die in schwierigem Gelände zur Wasserführung dienen bzw. das Wasser auf die oberschlächtigen Wasserrädern leiten.
  • Wasserläufe sind untertägige Wasserleitungen (Tunnel), sie dienen zur Verkürzung von Grabentouren
  • Schleiftrog ist der in der Erde eingelassene Teil einer Radstube
  • Aufschlag- und Abfallröschen sind Stollen durch die das Wasser auf ein Wasserrad gelangt bzw. wieder weggeführt wird.
  • Wasserlösungsstollen werden möglichst tief in Tälern oder am Gebirgsrand angesetzt und leicht ansteigend in ein Bergwerk getrieben, um die Grubenwasser auf natürliche Weise abzuführen

Zur bergbaulichen Wasserwirtschaft im Raum St. Andreasberg

Im Sankt Andreasberger Revier entwickelte sich ein eigenständiges Wasserversorgungssystem. Aus Mangel an nutzbaren Bächen in der Nähe des "oben auf dem Berg" liegenden Grubenreviers, war man gezwungen Wasser in den Einzugsgebieten von Sieber und Oder zu sammeln und durch Gräben und Stollen heranzuführen.

Literaturhinweis: 300 Jahre Neuer Rehberger Graben
Beiträge zur Bergbaugeschichte von Sankt Andreasberg Band 3, Sankt Andreasberg 2003

Übertägige Anlagen: Das System Rehberger Graben - Oderteich

Bereits im späten 16. - frühen 17. Jahrhundert (1. Periode des Silberbergbaus) entstanden folgende, heute z.T. noch vorhandenen Anlagen:

  • Sonnenberger Graben: etwa 3,6 km lang (Einzugsgebiet der Sieber)
  • Alter Rehberger Graben: etwa 6,6 km lang (Einzugsgebiet der Oder)
  • Alter Gesehr-Wasserlauf: etwa 450 m lang

Der größte Teil der Wasserwirtschaftsanlagen entstand während der 2. Bergbauperiode, Ende 17. bis Anfang 18. Jahrhunderts:

  • 1686 Instandsetzung und Verlängerung des Alten Rehberger Graben auf ca. 4.000 m, die Wasserführung erfolgte vorwiegend in hölzernen Gefludern (Halbgerennen)
  • 1699 Durchschlag des 760 m langen Tiefen Gesehr-Wasserlaufes
  • 1703Fertigstellung des Neuen Rehberger Grabens bis zur Oder, dieser verläuft 30 m tiefer als die alte Grabentour bis zum Einlauf des tiefen Wasserlaufes. Der neue Graben ist aus dem Felsen gehauen, z.T. ausgemauert und später teilweise mit Granitplatten abgedeckt. Länge: 7,3 km, Gefälle ca. 1:400, Durchflusskapazität ca. 400 l/s (max. "5 Rad Wasser")
  • 1714 - 1721 Bau des Oderteiches; älteste Talsperre Deutschlands Der Damm entstand als zweiter im Oberharz nach der "neuen Art" mit einer Kerndichtung. Statt Grassoden verwendete man Heidensand (Granitgrus), für den Stützkörper (Zyklopmauer) gebrauchte man Hohlsteine (Granitblöcke) die behauen und trocken aufeinandergesetzt wurden. Dammhöhe 18 m, Stauinhalt 1,7 Millionen m³.
hist_oderteichdamm

Die Wasserverteilung innerhalb des Reviers

Am Auslaufmundloch des Tiefen Gesehr-Wasserlaufes erfolgte eine Teilung der Grabenwasser:

  1. Strang: der 1,25 km lange Neufanger Graben (Ende des 17. Jh. angelegt) führte den Gruben des Inwendiger Zug (im Stadtgebiet gelegen) das Wasser zu.
  2. Strang: der 2,28 km lange Beerberger Graben (1710/11 angelegt) leitete das Wasser um den Beerberg herum zu den Gruben des Auswendigen Zuges (Wäschegrund).

Die Wasser beider Stränge vereinigten sich wieder bei der Silberhütte, die an der Einmündung des Wäschegrundes in die Sperrlutter lag und die Wasser beider Täler nutzte. Entlang von Sperrlutter (Andreasberger Tal) und Wäschegrundtal befanden sich bis zu 10 Pochwerke sowie einige Mühlen als weitere Nutzer. Im Inwendigen Zug gab es 14, im Auswendigen Zug 10 übertägige nutzbare Kunstgefälle. Um 1730 wurden mit diesen Wassern insgesamt 47 Wasserräder betrieben.

Untertägige Anlagen: Wasserlösungsstollen

Zur Entlastung der Pumpenkünste bzw. zur Verminderung deren Hubhöhe erfolgte die Auffahrung von tiefen Stollen ("Erbstollen"), um die Wasser in möglichst großer Teufe auf natürliche Art und Weise aus den Gruben abfließen zu lassen.

  • Grünhirscher Stollen (Mundloch im Sperrluttertal) 1692 - 1710 bis zum Marktplatz (Felicitaser Zug), bis 1714 zum Samsonschacht, bis 1729 zum Auswendigen Zug (Grube Wennsglückt) durchgetrieben. Gesamtlänge 10.150 m, Teufe im Samsonschacht 130 m
  • Sieberstollen (Mundloch bei Königshof an der Sieber) 1716 - 1754 bis zum Samson, bis 1805 zum Wennsglückter Schacht verlängert. Gesamtlänge rund 13.000 m, Teufe im Samsonschacht 190 m

Nach dem Ende des Silberbergbaus (Grube Samson 1910) erfuhren die St. Andreasberger Wassergefälle eine industrielle Nachnutzung (Holzverarbeitung Schleifereien, Papierfabrik). Bis heute dient das historische Wasserwirtschaftssystem zur Versorgung von fünf kleinen Wasserkraftwerken, von denen sich zwei im Samsonschacht, 130 m und 190 m unter Tage befinden (Stromerzeugungetwa 4,5 Mio kWh/a).